Fußball will Emotionen – aber bitte nur kontrolliert: Ein Spiel zwischen Authentizität und Heuchelei
Die Gesellschaft diskutiert mal wieder kräftig, nachdem die Szenen von Antonio Rüdiger für Furore sorgten und die Runde machten. Der deutsche Nationalspieler hat bei der Niederlage am vergangenen Samstag gegen den FC Barcelona im Copa-del-Rey-Finale die Nerven verloren und rastete aus. Zuerst warf Rüdiger – von der Seitenlinie aus – einen Eisbeutel in Richtung des Unparteiischen und verfehlte diesen knapp. Daraufhin zeigte Schiedsrichter Ricardo de Burgos ihm die rote Karte, ehe Rüdiger ihn gut hörbar auf Deutsch beleidigte.
Der spanische Fußballverband RFEF reagierte schnell – Antonio Rüdiger wird mit einer Sperre von sechs Ligaspielen bestraft. Völlig zu Recht und auch angebracht. Ein solches Verhalten ist im Fußball ein absolutes No-Go. Man kann sich vieles herausnehmen und auch mit vielem durchkommen, aber den Schiedsrichter anzugehen oder auch nur zu beleidigen, ist keine Option – die Position des Spielleiters muss entschieden geschützt werden.
Was aus diesem Vorfall jedoch wieder gemacht wird und welche Bestrafungen gefordert werden, bis hin zur Ausschließung aus der Nationalmannschaft, kann ich nicht nachvollziehen und finde es absolut überzogen.
Antonio Rüdiger ist ein Vorbild. Hat er sich zu diesem Vorbild selbst erklärt – oder ist er einfach eines, weil er so gut Fußball spielen kann und dadurch zwangsläufig in der Öffentlichkeit steht und dies von ihm verlangt wird? Natürlich trägt man eine gewisse Vorbildfunktion, aber nicht jeder ist dafür gemacht – und auch nicht jeder möchte überhaupt eines sein. Es ist klar, dass man durch die öffentliche Präsenz und Reichweite viel Verantwortung trägt und sich dessen bewusst sein sollte. Aber alles auf und in unmittelbarer Nähe des Platzes ist für mich kein Spielfeld, um an seiner Vorbildfunktion zu arbeiten – meiner Meinung nach!
Ich finde die Diskussion einfach so scheinheilig. Auf der einen Seite wollen alle mehr Emotionen und echte Typen sehen und beschweren sich, wenn Fußballer sich zurückhalten und die typischen Phrasen in Interviews raushauen. Auf der anderen Seite wird direkt mit dem Finger drauf gezeigt und versucht, den Spieler zu maßregeln, wenn er mal aus der Emotion heraus etwas übers Ziel hinausschießt.
Es wird immer weiter angeschoben, dass die Berichterstattung noch näher dran kommt und der Zuschauer noch mehr Eindrücke rund um seine Lieblingsmannschaft bekommt: Aufnahmen aus den Mannschaftsbussen, Mikros am Spielfeldrand, um die taktischen Anweisungen und Ansprachen des Trainers einzufangen, und sogar Aufnahmen aus der Mannschaftskabine spielen in den Planungen eine Rolle. Privatsphäre für die Spieler oder ein sicherer Safe Space werden so immer knapper.
Das mag für den ein oder anderen Fußballenthusiasten sehr interessant klingen, aber ich finde das einfach too much. Das wird nur die Folge haben, dass die Spieler noch mehr darauf achten, was sie genau sagen, und dass sie sich dreimal überlegen, ob sie ihren Emotionen freien Lauf lassen. Und ist es nicht genau das, was man eigentlich einfangen will und spannend findet?
Man muss sich schon entscheiden: Möchte man den echten Fußball oder eben nur einen Fake-Ausschnitt, der sich super vermarkten lässt? Beides zusammen ist schwer vereinbar – und wenn doch, dann müsste sich die Richtungshoheit der breiten Gesellschaft entschieden ändern. Das bezweifle ich stark.
Realität auf dem Platz? Lieber nicht, wir haben Kinder hier
Ich verstehe ja das Problem, dass viele Menschen und gerade Kinder zu ihren Idolen aufschauen, so sein wollen wie sie, auf den Platz gehen und sie nachahmen, sogar Eigenarten adaptieren und einfach versuchen, sich diese anzueignen. Das ist etwas Schönes und schenkt vielen Menschen Kraft.
Für mich ist die Problemlösung aber nicht, den Spielern einen Maulkorb zu verpassen und zu versuchen, sie zu erziehen. Man sollte mehr Bewusstsein dafür schaffen, die Realität auf dem Platz auch so anzunehmen. Bewusstsein dafür schaffen, dass es nicht nur schöne Dinge auf dem Platz gibt, dass Beleidigungen und unfaires Spiel auch dazugehören. Denn auch wenn alle versuchen wollen, es zu ändern – es wird nicht passieren. Unfair spielen liegt in der Natur der Menschen. Ihr werdet sicherlich alle mindestens eine Person im Umfeld haben, die beim Spielen schummelt und versucht, sich auf diese Art und Weise irgendeinen Vorteil zu verschaffen – sei es bei Monopoly, Kartenspielen oder Stadt, Land, Fluss.
Was wir verändern können, ist, den Kindern beizubringen, dieses Verhalten richtig einzuordnen und damit umzugehen. Unfaires Spiel zieht Strafen nach sich – aber es kommt vor. Und die Frage ist nur: Wie reagiere ich darauf? Lasse ich mich verunsichern, einschüchtern und verliere das Selbstvertrauen in meinem Spiel und mache es meinem Gegner einfacher? Oder höre ich einfach weg, nehme es nicht persönlich und lasse es nicht an mich ran, weil ich weiß, dass mein Gegenspieler mich nur schwächen will?
Was hat man davon, in der Jugend zu lernen, dass man auf dem Platz nur nette Komplimente verteilt und alle sich gegenseitig helfen – wenn du plötzlich in die Herrenmannschaft kommst und dir dein erster Gegenspieler sagt, dass er dir gleich die Beine bricht? Das kommt nicht selten vor.
Fußball ist auch ein dreckiges Spiel – und darauf sollte man vorbereitet sein.
Fußball lebt von Emotionen.
Emotionen sind echt und die ungefilterte Wahrheit – und diese liegt auf dem Platz.
Tanzt sicher in den Mai & versucht trotzdem fair zu bleiben, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Bis die Tage.
