Nagelsmann verzockt – und die DFB-Elf gleich mit
Die Sommerpause ist da. Der Transfermarkt ist eröffnet. Die Club-WM steht vor der Tür. Und dennoch fehlt der Ball im Spiel.
Da kam die Nations League mit unserem DFB-Team doch gerade recht. Und nein – diesen Wettbewerb braucht es absolut nicht, und die Belastung für die Spieler wird immer größer im Wahnsinn der Ausschlachtung des Spielkalenders. Ein Punkt, der leider viel zu selten berücksichtigt wird. Das Karussell dreht sich immer weiter – aber das ist ein anderes Thema.
Dennoch blickte man mit leichter Vorfreude auf das kommende Final Four mit unserer Nationalmannschaft. Nicht nur, weil sie uns seit der vergangenen EM wieder Begeisterung bescherte, sondern auch, weil man gespannt auf die weitere Entwicklung war – und die Gegner keine kleinen Nationen sein sollten. Es lag ein Hauch von Turnier in der Luft. Und wenn man schon solch unnötige Wettbewerbe nach einer langen Saison bestreiten muss, dann doch bitte mit einem „Titelchen“. Denn egal wie anstrengend: Der Erfolg mindert immer die Belastung – und man hat sogar noch Spaß dabei. Dazu muss man ehrlicherweise auch sagen, dass es bei solch qualitativen Mannschaften ein Genuss ist zuzuschauen – die Spiele sind wenigstens attraktiv und interessant.
Nun ja, die Realität ist wieder mal eine andere. Es ist Montagmorgen – und die Ernüchterung schlägt zu. Von Spaß und Spielfreude war wenig zu sehen. Das Spiel gestern gegen Frankreich nehme ich da nicht einmal in die Bewertung mit rein. Denn seien wir mal ehrlich: Ein Spiel um Platz drei gehört abgeschafft – und da kann ich auch keinem Spieler einen Vorwurf machen, wenn er gedanklich schon in der Sonne liegt.
Allerdings hat man gegen Portugal wieder das alte Gesicht gezeigt, und hier kann ich Argumente wie „lange Saison in den Beinen“ nicht gelten lassen. Das ergeht den anderen Mannschaften nicht anders – und bei Portugal standen immerhin auch Spieler auf dem Platz, die kurz zuvor die Champions League gewonnen hatten. Und wenn ein Ronaldo mit seinen 40 Jahren alles gibt, dann sollte sich kein anderer Spieler auch nur fünf Sekunden in diesem Gedanken verlieren.
Ich sag’s gerade heraus: Julian Nagelsmann hat sich verzockt. Wieder einmal setzt er auf eine Dreierkette, wieder einmal sieht die Mannschaft damit nicht gut aus – und wieder folgt die Umstellung zurück zur Viererkette im gestrigen Spiel. Alles Muster, die wir genauso schon in der Vorbereitungsphase zur EM beobachten konnten. Es ist keine Überraschung, dass das Team sich mit dieser Formation nicht vollends wohlfühlt. Und anstatt den Flow des vergangenen Jahres mitzunehmen, versucht man erneut, seine eigene Vision des Spiels der Mannschaft mitzugeben. Klar, das ist mutig – und alle applaudieren, wenn es klappt. Aber wenn es schiefläuft, muss man sich auch die Kritik gefallen lassen.
Gerade in der Nationalmannschaft braucht es Stabilität. Durch die wenige, intensive Zeit mit dem Team auf dem Trainingsplatz dauert es deutlich länger, bis Automatismen greifen und verinnerlicht werden. Besonders nach solch einer langen Saison ist es umso entscheidender, es den Spielern so einfach wie möglich zu machen – und sie so einzusetzen, dass sie als Team funktionieren. Aber vielleicht wäre das für Julian Nagelsmann zu einfach gewesen. Vielleicht wollte er die Gelegenheit noch einmal nutzen, um dem Team seinen persönlichen Stempel aufzudrücken. Nagelsmann Class soll schließlich sichtbar sein.
Nichtsdestotrotz muss man sagen: Die Einstellung einiger Spieler passte nicht. Die ersten 45 Minuten gegen Portugal waren in Ordnung, man hätte sogar früher in Führung gehen können. Aber spätestens nach dem Ausgleich und den Einwechslungen der Portugiesen lief man der Musik nur noch hinterher – und kann am Ende froh sein, dass sich das nicht noch deutlicher im Ergebnis widerspiegelt. Danke ter Stegen!
Ein Klassenunterschied war sichtbar. Die Portugiesen legten kurzzeitig den Schalter um und strahlten eine Spielfreude aus, die man derzeit wohl nur bei den Spaniern sehen kann. Man war stets einen Schritt zu spät – und man hatte das Gefühl: Selbst wenn die Mannschaft gewollt hätte, sie konnte einfach nicht.
Sicherlich kann man jetzt wieder anführen, dass einige wichtige Stützen im DFB-Kader gefehlt haben. Aber das sind nur Ausreden – und nicht entscheidend dafür, welche Einstellung man auf dem Platz zeigt. Es wirkte eher so, als habe man sich auf den vergangenen Erfolgen ausgeruht – und sei schon ein Stück zu zufrieden. Wenn man nicht 100 Prozent gibt, reicht es einfach nicht, um auf die Spitze zu schielen. Dann ist man weiter weg, als man sich selbst eingestehen möchte.
Diese Warnung sollte man unbedingt ernst nehmen. Ich finde, die verpasste Chance ist einfach ärgerlich. Anstatt noch einmal ein Stück weit die Euphorie zu bestärken, bleibt jetzt erst einmal die Frage präsent, ob der Fortschritt stagniert – und man wieder in alte Muster verfällt.
Stolpern gehört zum Weg dazu
Aber bei aller Negativität: Versuchen wir zum Abschluss wenigstens, etwas Optimismus mitzunehmen. Diese Warnung kommt zum richtigen Zeitpunkt. Noch hat man genug Zeit, die richtigen Lehren aus den Niederlagen zu ziehen. Und wer weiß – vielleicht ist das ja auch der Plan dahinter. Veränderungen sind nie leicht, und Rückschläge gehören dazu. Wir gehen eben den komplizierten, steinigeren Weg. Einfach kann jeder – und wir sind nicht irgendwer.
Wir sind Deutschland – und wir wollen in New York/New Jersey den WM-Pokal in die Höhe strecken.
In diesem Sinne: Hinfallen, aufstehen, weitermachen – und den Glauben nicht verlieren.
Schönen Pfingstmontag euch!
