Wenn man an den FC Bayern denkt, kommt einem sofort das Wort Dominanz in den Sinn. Gefürchtet, unbequem und qualitativ einfach eine Nummer zu gut für jeden Gegner. Mia san mia war immer mehr als nur ein Slogan – es war eine Identität, die nicht jeder tragen kann. Dieses Gefühl schwindet allerdings immer mehr, und spätestens seit dem Sextuple 2019/20 ist es kaum mehr vorhanden. Die Entwicklung stagniert – oder geht eher rückwärts. Das finde ich besorgniserregend. Die Gegner verlieren die Furcht, wittern sogar ihre Chance, da die Spielweise immer wieder zu einem Tor einlädt.

Wie voll des Lobes doch alle Anfang der Saison waren: wie erfrischend und attraktiv der FC Bayern München wieder spielt – und wie man sich mit dem neuen Trainer Vincent Kompany vom einfallslosen Tuchel-Ball verabschiedet hat. Sicherlich spielt hier auch der Optimismus mit und eben jenes Bild vom FC Bayern München, das man über Jahrzehnte verinnerlicht hat. Ich habe das schon zu Saisonbeginn kritisch gesehen – und dieser Eindruck hat sich bis heute nicht verändert.

Die Ergebnisse gegen schwächere Teams verzerrten den Blick auf die Realität – und selbst gegen solche Gegner war man durch die hohe Mannschaftspositionierung in gewissen Situationen stets offen. Das hohe Pressing lenkte nur von der eigenen Instabilität im Defensivverbund ab. Das Risiko war einfach viel zu hoch. Du kannst deine Verteidiger nicht dutzende Male pro Spiel alleine ins 1-gegen-1 auf Höhe der Mittellinie schicken – und wenn doch, ist jeder einzelne Fehler potenziell spielentscheidend. Das Resultat daraus war die zunehmende Verunsicherung in der Innenverteidigung. Selbstvertrauen ist oftmals der entscheidende Unterschied – und auf diese Weise konnten weder Kim noch Upamecano an Sicherheit gewinnen. Den Spielern mache ich hier keinen Vorwurf, denn es ist brutal schwer, wenn man als letzter Mann immer nur an den entscheidenden Fehlern gemessen wird.

Spätestens nach dem 3:3 gegen Frankfurt in der Hinrunde der abgelaufenen Saison musste Kompany einsehen, dass seine Idee und Spielweise angepasst werden muss. Es ist sicher kein Zufall, dass der FCB in der gesamten Saison gegen gleichwertige Teams meist den Kürzeren gezogen hat – mit wenigen Ausnahmen. Da spielt es auch keine Rolle, wie die Statistik nach dem Spiel aussieht und wie viel xG man in der Statistik hatte. Das interessiert hinterher niemanden mehr. Solche Spiele gibt es, da will der Ball einfach nicht ins Tor, und man könnte ewig weiterspielen – ohne Erfolg. Oft genug aber liegt es einfach am Unvermögen. Es reicht schon, wenn man sich die individuellen Statistiken der Offensivakteure anschaut: Außer Harry Kane hat man keine weitere Torgarantie. Die anderen Offensivkräfte sind zu unkonstant. Serge Gnabry hatte immer diese Qualität, lief in dieser Saison allerdings seiner Form hinterher – auch wenn die letzte Kurve wieder nach oben zeigte. Ich hoffe, er wird nächste Saison wieder mehr ein Faktor. Denn auf diesem Niveau brauchst du diese Breite und kannst nicht nur von einem Torjäger abhängig sein.

Ein weiterer Punkt, der diese Schwäche verstärkt, ist die gesamte Spielanlage und das Kreieren von Torchancen. Das Flügelspiel ist kaum noch vorhanden. Noch vor wenigen Jahren fürchtete man „Robbery“ über außen – man kannte zwar ihre Moves, konnte sie aber dennoch nicht verhindern, weil sie so perfekt ausgeführt waren. Ob ein geniales Ribéry-Dribbling über außen oder die bekannte Robben-Finte – sie waren kaum zu verteidigen. Heute kannst du fast mitzählen, wie selten Spieler wie Sané, Coman, Gnabry oder auch Olise ins 1-gegen-1 gehen, den Gegner hinter sich lassen und wirklich bis zur Grundlinie durchstoßen. Es ist erschreckend wenig. Gerade diese Aktionen bringen gegen kompakte und tiefstehende Gegner so viele Chancen. Im DFB-Achtelfinale flankte Olise einfach mal mit rechts – und Harry Kane traf sofort per Kopf zum 1:0. Es kann so einfach sein.

Mir erschließt sich nicht, wieso man einen – wenn nicht den abschlussstärksten Neuner – in den eigenen Reihen hat und ihn so wenig füttert. Was versucht der FC Bayern andauernd? Richtig: zentriertes Kurzpassspiel und der Versuch, sich durch die ohnehin schon lückenlose, eng stehende Abwehr zu kombinieren. Egal, wer in der Offensive spielt – es wird fast immer der Weg nach innen gesucht. Das Spiel wirkt ideenlos und behäbig, wenn es an kreativer Variabilität mangelt und keine Überraschungsmomente entstehen.

Das fiel schon unter Julian Nagelsmann auf, als man anfangs ohne echten Stürmer spielte und sich sicher war, dass man die Torquote eines Lewandowski auf mehrere Schultern verteilen könne. Variabilität war das Stichwort. Das wurde als Stärke verkauft: Der Gegner könne sich nicht einstellen, da vorne jeder überall spielen kann. In der Realität aber konnte keiner die Rolle konstant ausfüllen, und es fehlte an Toren. Die Mannschaft verliert zu viel Qualität in den Offensivaktionen, wenn kein Spieler seine feste Position hat und seine Stärken ausspielen kann. Jeder macht irgendwie alles okay – aber nichts herausragend gut. So musste man wieder auf Choupo-Moting zurückgreifen, der sofort funktionierte.

Deshalb sehe ich auch einen Joshua Kimmich deutlich stärker als Rechtsverteidiger – mit der Fähigkeit, dem Spiel des FC Bayern etwas zu geben, was aktuell fehlt: hervorragende Flanken. Er selbst hört es nicht gern, aber er zeigte es zuletzt eindrucksvoll im DFB-Team. Meiner Meinung nach verschleppt er im Zentrum oft das Spiel, nimmt Tempo raus, und die gegnerische Hintermannschaft steht wieder geordnet. Die überfallartigen Angriffe fehlen und verpuffen im Spieltrott. Im Zentrum hat man zu viele Optionen, man kann sich in jeder Richtung drehen und passen. Auf der RV-Position ist man eingeschränkter – die Außenlinie gibt die Richtung vor, und dieser Zwang kommt Kimmich zugute. Er ist kein Spieler, der sich versteckt. Er will vorangehen und das Spiel prägen – also bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als offensiv aufzufallen: durch Flanken oder energisches Durchbrechen über außen. Und auf dieser Position ist er für mich deutlich stärker, wertvoller und so viel näher dran an der Weltklasse.

Das Hauptproblem liegt in der Balance – im Team und im Spiel. Zu wenig Dynamik, zu wenig Wucht, zu wenig Intensität. Und hier möchte ich Vincent Kompany vorerst aus der Schusslinie nehmen. Er ist ein junger Trainer und hatte sicherlich kein allzu großes Mitspracherecht bei vergangenen Transfers. Wenn man einen so unerfahrenen Coach holt, muss man ihm auch die Zeit geben, sich und das Team zu entwickeln. Auch wenn mich interessieren würde, ob Kompany überhaupt Palhinha wollte – oder ob das nur ein „Wort halten“ der sportlichen Führung war. Man kann ihn kaum bewerten, da er nie wirklich seine Chance bekommen hat. Das ist nicht Bayern-like. Man hatte ein komplettes Jahr lang Zeit, sich über diese Personalie im Klaren zu sein – und 50 Millionen sind auch fürs Festgeldkonto keine kleine Ausbildungsentschädigung.

Und wenn wir schon bei „nicht Bayern-like“ sind, dann muss ich leider auch an Max Eberl denken. Ich kann mich an keinen Sportmanager beim FC Bayern erinnern, der so unsicher auftrat. Nicht nur, dass man seinen Worten nicht wirklich glauben kann – es fehlt auch an Souveränität. Die Bayern haben immer das Tempo vorgegeben und standen über den Dingen. Man hatte das Gefühl, im Hintergrund laufen längst andere Pläne – und es wird erst kommentiert, wenn alles klar ist.

Bestes Beispiel: die Aussagen zu Thomas Müller. Im Januar hieß es noch, eine Vertragsverlängerung hänge allein von Müllers Wort ab. Monate später ruderte man zurück – und verlor an Glaubwürdigkeit. Für mich unbegreiflich, dass man sich nicht einigen konnte. Selbst wenn man sportlich nicht überzeugt ist – es gibt immer diese Vereins-Ikonen, denen man ein weiteres Jahr ermöglichen sollte. Einen Thomas Müller mit anderen Vereinsgrößen bei Gladbach zu vergleichen, mit denen Herr Eberl ja auch Härtefälle hatte, finde ich da schon arg respektlos – ohne Rafael, Stindl und Co. etwas Böses zu wollen und ihnen nicht den nötigen Respekt zu zollen. Ich bin mir allerdings sicher, dass selbst diese Spieler mir zustimmen würden.

Gladbach ist eben nicht Bayern. Ich bezweifle stark, dass Eberl der neue starke Mann beim FC Bayern wird – das scheint eine Nummer zu groß. Und mal schauen, wie der finale Poker mit Leroy Sané ausgeht und ob man wieder einmal seine getätigten Aussagen revidieren muss.

Selbiges gilt für mich auch für Christoph Freund. Talente in Salzburg zu entdecken und teuer zu verkaufen, ist schön und gut – aber kein Modell für den FC Bayern. Es hilft weder dem Verein noch einem jungen Talent, wenn dieses nur sporadisch zum Einsatz kommt. Falls man es doch weiter versucht: Ein Anruf bei Hansi Flick könnte nicht schaden.

Mein Fazit: Der FC Bayern braucht einen größeren Umbruch als bisher eingeleitet. Neue Spieler, die wieder diese Gier entfachen und dem „Mia san mia“ eine alte, neue Bedeutung geben. Spieler, die geil darauf sind, den Gegner auch mal zu verarschen und mutiger das 1-gegen-1 suchen. Spieler, die Sicherheit ausstrahlen und nervenstark sind. Eine neue Achse im Spiel, die hungrig ist und jedem Mitspieler Feuer unterm Hintern macht, wenn er nicht mitzieht. Und vor allem: eine geschlossene Vereinsführung, die leise arbeitet – und mit Taten begeistert und überrascht.

Ich möchte kein BVB 2.0. Ich wünsche mir wieder das Bayern, das national wie international bewundert – und gefürchtet – wird!

Und jetzt: Kaffee, Playlist an, Montag meistern. Bis dann!

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