Es ist noch gar nicht allzu lange her, da wusste man nicht recht, was man mit der neu gewonnenen Freizeit während der Länderspielpause anfangen sollte. Eine kleine Lücke machte sich bemerkbar, und man schaute eigentlich nur auf den Kalender, wann der Bundesliga-Alltag nun endlich weitergeht, und zählte die Tage. Schlussendlich landete man dann doch auf der Couch, und wenn man es schon bis dorthin geschafft hatte, dann zappte man doch hin zum Länderspiel. Leicht frustriert und von keiner Erwartung erfüllt – und doch war dieser kleine Hoffnungsschimmer da, dass sich endlich etwas ändert in der Spielanlage der deutschen Nationalmannschaft. Man verlangte gar nicht viel und war schon mit dem Minimum zufrieden: ein wenig mehr Energie, ein bisschen Spielwitz hier und da und wenigstens der erkennbare Versuch, leidenschaftlicher aufzutreten. Und wenn mal nichts gelingt und die Spieler einen schlechten Tag haben, dann doch wenigstens ein Fight im Rahmen des Regelwerkes mit all seinen Grauzonen. Dieses Minimum war früher eine unserer größten Stärken. Jeder wusste: Selbst wenn die spielerische Klasse nicht abrufbar ist, werden es verdammt unangenehme 90 Minuten gegen Deutschland, und wir gleichen im Kollektiv die Tagesschwäche aus – oft sogar übertrumpfen wir sie.

Genau dieser Punkt ist für mich auch ein ganz wesentlicher in der Entwicklung des Fußballs. Die Ausbildung ist international gestiegen, und wenn du auf diesem Niveau nicht alles mögliche Potenzial abrufst, dann wird es auch gegen die vermeintlich kleineren Nationen schwer und oftmals nicht ausreichen. Dieses Minimum ist mittlerweile Standard, und wenn die Mannschaft nicht über die spielentscheidende individuelle Klasse verfügt, dann ist das starke Kollektiv umso entscheidender.

Ich möchte allerdings auch gar nicht alles schlechtreden und hoffe genauso wie wir alle, dass der aktuelle Trend bestehen bleibt und die Nationalmannschaft diese Leidenschaft beibehält, wächst und wieder weltweit gefürchtet wird. Die Qualität dazu hat der Kader auf alle Fälle – das kann man gar nicht abstreiten – und die letzten Auftritte haben jedenfalls Lust auf mehr gemacht. Wir verfolgen gespannt die weitere Entwicklung unter Julian Nagelsmann.

Hoffnung und Skepsis sind mit seinem Namen allerdings sehr eng verknüpft. Ich halte Herrn Nagelsmann für einen ausgezeichneten Trainer, jedoch ist er noch nicht dieser Weltklasse-Trainer, den viele aus ihm machen wollen. Dazu ist er auch einfach den Nachweis schuldig, etwas Großes zu gewinnen, um sich in eine Reihe mit Jürgen Klopp, Pep Guardiola, Carlo Ancelotti und Co. einzureihen. Das Talent hat er dafür zweifelsohne. Sein größter Gegner ist er selbst, denn die jüngere Trainergeneration neigt immer häufiger dazu, den Fußball neu erfinden zu wollen – eine neue Idee zu kreieren und sich manchmal so weit darin zu verlieren, dass man den Fokus für die richtigen Schlüsse verliert. Zu oft wird an einem System oder einer Spielidee festgehalten, auch wenn die Ergebnisse ausbleiben. Erst wenn zu viel auf dem Spiel steht, wird auf Altbekanntes zurückgegriffen – denn man weiß, dass es funktioniert.

Das war auch vor der EM 2024 der Fall: Dreier- bzw. Fünferkette haben nicht wirklich gegriffen, und die Testspiele waren nicht sehr vielversprechend (kleiner Reminder: Kai Havertz als linker Schienenspieler in der Kette). Man wechselte in den letzten Spielen der Vorbereitung zurück zur Viererkette und gab dem Stammpersonal Zeit und Vertrauen, sich einzuspielen. Die Experimente wurden eingestellt, und die eigene Spielidee wurde angepasst und teilweise auf Eis gelegt. Denn so kurz vor einer Europameisterschaft im eigenen Land war es umso wichtiger, die Nation hinter sich und eine gefestigte Mannschaft zu wissen.

Auch wenn Julian Nagelsmann schon gefühlt eine Ewigkeit auf diesem Niveau trainiert, ist er immer noch jung und längst nicht fertig mit seiner Entwicklung. Das muss man ihm immer zugestehen. Er ist absolut smart und reflektiert genug, um die richtigen Erkenntnisse aus solchen Phasen zu ziehen.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass ich trotz aller Kritik durchweg positiv in die Zukunft unserer Nationalmannschaft blicke. Ich bin nur kein Freund dieser extrem wechselnden Superlativen. Zwischen Weltklasse und Kreisliga gibt es nicht mehr viel. Nach ein paar Jahren Tristesse und Lethargie ist es meiner Meinung nach gar nicht verkehrt, die Entwicklung spannend zu verfolgen, und dem ganzen Prozess auch seine Zeit zu geben. Ich bin dennoch überzeugt, dass wir auf einem sehr guten Weg sind, in einem Jahr einer der Top-Favoriten auf den WM-Titel zu sein.

Diese Flamme war nie komplett erloschen.

Euch ein angenehmes Wochenende – und bleibt sportlich.

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